Start-up
Was ich beim Launch meines eigenen Start-ups gelernt habe
Neben meiner Tätigkeit als selbständiger Experte für User Experience bin ich Mitgründer von Freigeist, einem EdTech Start-up. Wir bauen einen Onlineanwendung, mit der Lehrerinnen und Lehrer ihren Unterricht digital planen können.
2018 war ein wichtiges Jahr für uns. Im August haben wir die erste Version gelauncht und davor seit Juni einen Vorverkauf durchgeführt.
Obwohl ich schon viele digitale Produkte begleitet habe, war es eine besondere Erfahrung, mein eigenes Start-up zu launchen. Aus dieser Erfahrung habe ich viel mitgenommen und möchte die wichtigsten Fazits hier mit dir teilen.
Schon wenig Research zahlt sich aus
Als UX Designer werbe ich bei meinen Auftraggeber oft für UX Research. Es war aufschlussreich zu erfahren, wie ich selbst damit umgehe, den Bedarf für UX Research, eine sportliche Deadline und wenig Ressourcen miteinander in Einklang zu bekommen.
Die Tatsache, dass mit Alex Sali ein Vertreter der Zielgruppe auch Teil des Gründerteams ist, haben wir lange als Ausrede verwendet um nicht tiefer in Research einsteigen zu müssen. Das war ein Fehler, denn dabei haben wir ignoriert, dass Alex als technikbegeisterter Start-up Gründer, unsere Zielgruppe nicht umfangreich genug repräsentiert und wir durch zusätzlichen Research weitere, hilfreiche Insights bekommen können.
Zum Glück haben wir uns schlussendlich doch entschieden, Interviews mit weiteren Lehrern durchzuführen. Wie schon erwähnt, die Timeline war eng und das Budget knapp, weswegen wir nur drei Lehrer interviewt haben. Das ist weit weg von dem, was eigentlich ideal wäre. Trotzdem haben diese Interviews uns geholfen, neue Betrachtungsweisen zu bekommen und schlussendlich dazu geführt, dass wir unsere initiale Idee drastisch verändert haben.
Ich bin davon überzeugt, dass wir ohne diesen Pivot bei weitem nicht so erfolgreich gelauncht hätten, wie es so der Fall war. Außerdem hat es uns geholfen, unsere Idee seit dem klarer und regelmäßiger zu hinterfragen und uns immer wieder damit zu befassen, wie wir die wichtigsten Hypothesen unseres Produkts und unseres Geschäftsmodell testen können.
Mein Fazit ist, dass selbst wenig Research besser ist als gar kein Research. Heute ist es mir wichtiger, den Design (Thinking) Prozess als Zyklus zu Begreifen, in dem Research eine wichtige Rolle spielt und immer wieder vorkommt, als einmal in einem einen umfangreichen UX Research zu machen und "den Punkt abzuhaken".
In dem Zusammenhang waren die Gedanken des IBM Design Loops sehr hilfreich.
Die ersten MVPs sollten Marketingmaßnahmen sein
Die wichtigste Frage für (fast) jedes Start-up ist nicht, "Wie müsste das perfekte Produkt aussehen?" sondern, "Funktioniert das Geschäftsmodell?".
So wichtig ein gutes Produkt, das einen klaren Need erfüllt ist – wenn am Ende keiner bereit ist dafür zu bezahlen, war der ganze Aufwand umsonst.
Wir haben uns daher dazu entschlossen, diese Frage durch Marketingmaßnahmen zu testen. Unser erstes Minimal Viable Product (MVP) war gar kein Produkt sondern eine Facebook Kampagne, die auf eine einfache Landingpage geführt hat. Wir wollten tracken, wie gut die Werbeanzeige funktioniert. Auf der Landingpage taten wir so, als wäre Freigeist bereits fertig. Mit diesem so genannten "Fake Door" Ansatz, konnten wir einigermaßen verlässlich prüfen wie hoch unser Klickrate und unsere Conversion Rate, also letztendlich das Interesse an dem Produkt, ist.
Die Zahlen waren super und sie machten uns Mut, mit der Entwicklung des eigentlichen Produkts fortzufahren.
Das Gute ist, dass es kein Entweder oder sein muss. Während wir diese Maßnahmen laufen hatten, war Marko, unser Entwickler, bereits dabei das Produkt umzusetzen. Wir hätten uns aber viel unnötigen Aufwand sparen und über strategisch andere Ausrichtungen nachdenken können, hätten wir an dieser Stelle gemerkt, dass an unserer Produktidee ein nur unterdurchschnittliches Interesse besteht.
Ein unvollkommenes Produkt zu launchen erfordert Mut, es lohnt sich aber.
Eigentlich bin ich Perfektionist. Wenn ich über ein neues Produkt nachdenke, will ich instinktiv immer den weiten Wurf machen. Die perfekte User Experience, das ideale Set an Funktionen für den User und das Ganze technisch ideal umgesetzt. Als Designer habe ich über Jahre gelernt, auf alle Details zu achten, weil Details den Unterschied zwischen einem guten und einem herausragenden Produkt machen.
Es war ein harter Weg, mir diesen Perfektionismus (teilweise) abzutrainieren und die Erfahrung aufzubauen, wann solche Erwartungen an ein Produkt angebracht sind und wann nicht.
Manchmal kann man sich Perfektionismus einfach nicht leisten. Bei Start-ups ist das (fast) immer der Fall.
Dabei geht es nicht darum, schlechte Produkte zu bauen, sondern um die Erkenntnis, dass man um so schneller über das Produkt lernt, je früher man launcht. Wir, du und ich und jeder andere, wissen vor dem Launch einer innovativen Idee noch garnicht, was "perfekt" wirklich bedeutet. Wir haben vielleicht eine Meinung dazu, aber damit könnten wir genauso gut falsch liegen. Die Gefahr ist, viel Aufwand in Detials von Funktionen zu stecken, die am Ende niemand braucht.
Als wir Freigeist am 15. August 2018 gelauncht haben, war das für mich ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits war ich unglaublich stolz darauf, dass wir das hinbekommen haben. Gleichzeitig habe ich mich für die vielen Dinge, die schlecht umgesetzt waren geschämt. Das Produkt hatte trotz intensivem Testen viele Bugs und die User Experience war durchzogen von Kompromissen, die wir machen mussten um überhaupt launchen zu können. Das Features Set war ein Bruchstück von dem, was wir als Vision im Kopf hatten und haben.
Trotzdem hat es sich gelohnt, so vorzugehen.
Hätten wir versucht, das "ideale" Produkt zu launchen, wären wir heute noch nicht fertig und durch diesen Weg haben wir viel Feedback bekommen, positives wie negatives, dass uns hilft die nächsten Schritte zu planen.
Für jeden User, dem der aktuelle Stand noch nicht gut genug ist, gibt es einen anderen User, der uns gesagt hat, wie begeistert er von Freigeist ist.
Vor allem aber haben wir durch dieses Vorgehen Dinge herausgefunden, auf die wir nie alleine gekommen wären. Wir hatten blinde Flecken dazu, was unsere Zielgruppe wirklich braucht, um mit unserem Produkt arbeiten zu könne. A/B Wochen sind ein Beispiel dafür. Es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die nicht jede Woche den gleichen Stundenplan haben. Da wir A/B Wochen aus unserer eigenen Schulzeit nicht kannten, hatten wir das Thema überhaupt nicht auf dem Schirm.
Die Vision ist extrem wichtig
Als wir mit Freigeist gestartet hatten, noch bevor es überhaupt Freigeist hieß, haben wir viel Zeit in unsere Vision und unseren Markenkern investiert.
Was wollen wir erreichen? Wofür stehen wir? Welche gesellschaftliche Relevanz hat dass, was wir machen?
Solche Überlegungen werden manchmal belächelt (Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen), für uns waren sie aber ungemein hilfreich.
Sie gaben uns die nötige Motivation durchzuhalten, weil wir davon überzeugt sind, dass es sich lohnt in Freigeist zu investieren, selbst wenn wir damit scheitern sollten. Es geht um mehr als die Frage, ob man damit wirtschaftlich erfolgreich sein kann, auch wenn das weiterhin ein wichtiger Aspekt war.
Die klare Ausrichtung hat uns auch geholfen Entscheidungen im Produktmanagement zu treffen. Je klarer man weiß, was man ist und wo man hin will, desto leichter fällt es zu entscheiden, was in das Produkt kommt und was nicht.
Dieser Markenkern war auch die Grundlage all unserer Marketingentscheidungen. Er half uns dabei, Themen für unseren Blog zu finden und durch die Vorarbeit, die wir geleistet hatten, konnten wir den Text für unser Erklärvideo innerhalb von zwei Stunden selbst schreiben. Ein Video, dass innerhalb von drei Tagen fast 20 Tausend organische Impressions auf Facebook bekommen hat, unsere Idee schnell und anschaulich erklärt und das nachweislich dafür sorgt, dass Leute sich bei uns registrieren.
Haben wir bei unserem Launch alles richtig gemacht? Würde ich heute alles genau gleich angehen?
Sicher nicht.
Es gibt immer Dinge, die man im Nachhinein besser machen könnte. Trotzdem bin ich sehr glücklich darüber, wie wir das ganze angegangen sind und dankbar für die Erfahrungen, die ich auf dem Weg gemacht habe.
Ich hoffe dieser Artikel konnte dir weiterhelfen und dich vielleicht inspirieren, deine eigene Idee aktiv anzugehen.
Und falls du dabei Unterstützung brauchst, sag bescheid ;-)